St. Ursula-Schule Hannover

Vor 100 Jahren: Als die Ursulinen wiederkamen – Die Schule im Ersten Weltkrieg

Vor etwas über hundert Jahren - im Jahr 1909 - war die „Private katholische Mädchenschule“ in der Clemensstraße, wie unsere Schule damals noch hieß, offiziell ein Lyzeum geworden. Dies bedeutete, dass die Schule offizielle Schulabschlüsse für Mädchen vergeben konnte – jedoch nicht das Abitur. Nach der Vertreibung der Ursulinen im Jahr 1878 war die Schule nun zwar privat finanziert, aber staatlich anerkannt.

Aus dieser Zeit gibt es noch heute die Jahresberichte, die die Direktorin Frl. Philips jedes Schuljahr im preußischen Kultusministerium einreichen musste. Neben vielen Statistiken wurde dort auch so manch kuriose Situation geschildert:

So scheint es im Jahr 1911 erhebliche hygienische Probleme innerhalb des Schulgebäudes gegeben zu haben. Es wurden zwar keine Details genannt, aber eine Besichtigung durch den Kreisarzt Dr. Plinke im Januar musste so gravierende Mängel aufgeworfen haben, dass bis zu den Juli-Ferien nachgebessert werden musste. Dies könnte mit Feuchtigkeit in den Räumen zu tun gehabt haben, da "Ventilatoren in allen Räumen für beständige Lufterneuerung" installiert wurden. Bis 1913 fanden interessante Wechsel innerhalb des Kollegiums statt. So kamen junge, neue Lehrkräfte, die sofort durch die Übernahme von öffentlichkeitswirksamen Aufgaben hervorstachen. Es überrascht etwa, dass der Referendar Herr Vormoor bereits 1911 lobend in der Chronik erwähnt wurde, da er die Festrede zum Sedantag am 2. September halten durfte. Noch schneller geschah dies im Falle von Frl. Römermann, die zum gleichen Zeitpunkt an die Schule kam und bereits 1913 zur Interimsdirektoren aufgestiegen war.

Auch war die sonstige Fluktuation der Lehrkräfte hoch. Die Schule steckte in einer Zwickmühle: Da sie als Privatschule von der katholischen Kirche geführt wurde, konnte sie nicht die im Staat üblichen Gehälter zahlen. Sie war als auf Lehrkräfte angewiesen, die im Staat keine Stellung erhielten oder aus religiösen Gründen an eine konfessionelle Schule wollten. Um gerade jungen Lehrkräften die Verbleib ein wenig schmackhaft zu machen, schien es Methode zu sein, junge Lehrer mit repräsentativen Aufgaben zu betrauen, die eine große schulische Öffentlichkeit erreichten.

1913 erkrankte die langjährige Schulleiterin Fr. Philips schwer. Die relativ neue Kollegin Römermann übernahm sofort das Amt als Interims-Direktorin - bereits wenige Wochen später wurde die Oberlehrerin Anna Stöwener mit den Fächer Deutsch, Geschichte und Naturkunde an die Schule geholt. Sie wird noch vor Ende des Schuljahres zur neuen Direktorin ab dem Schuljahr 1914/15 berufen.

Zweifelsohne änderte sich mit dem Antritt des Direktorenamtes durch Frl. Stöwener am Lyzeum in mehrfacher Hinsicht vieles. Wenige Monate nach ihrem Dienstbeginn brach der erste Weltkrieg aus, der sich auf sehr interessante Art und Weise in den Aufzeichnungen der neuen Direktorin niederschlagt:

„Der Unterrichtsbetrieb ist an unserer Schule durch den Krieg kaum gestört worden, da von unseren Lehrern noch keiner zur Fahne berufen worden ist. Die Schülerinnen waren zur opferwilligen Kriegshilfe freudig bereit, die sich bei ihnen ja leider nur in eifrigem Stricken und Spenden an die Soldaten kund tun konnte. Zahlreiche Karten und Briefe vom westlichen und östlichen Kriegsschauplatz legen Zeugnis ab von der Freude und dem Dank der Empfänger. Mögen sie alle nur recht bald als Sieger in ihre Heimat zurückkehren!“

Der ansonsten meist neutrale, wenig ausschmückende Stil der Jahreschroniken zum Ausbruch des Weltkrieges nahezu schlagartig auf Kriegsrhetorik umgestellt. So zeugte das offene Bedauern der Direktorin, dass ihre Schülerinnen „nur“ durch Stricken helfen konnten durchaus von einem nationalen Geist. Auch war die übliche Geburtstagsrede zum Kaisergeburtstag nun eine Ansprache an „unseren Kaiser als den Friedenskaiser, der nur gezwungen zum Schwerte griff“ . Auch wurden verschiedenste Kriegs-Aktionen in diesem Schuljahr mit den Schülerinnen veranstaltet: Neben den überaus patriotischen Festen zu den wichtigsten nationalen Feiertagen, gab es ein Projekt zum Sparen des Pausenbrotes „gegen den Aushungerungskrieg, den England uns aufzwingen will“. Gleichermaßen gab es eine große Spendenaktion, bei welcher die Schülerinnen 5000 Goldmark sammelten und dafür einen Tag schulfrei erhielten.

Die ehemalige Direktorin Katharina Philips verstarb 1916, es wurde eine dementsprechende große Trauerfeier abgehalten. Auf ihrem Grabstein wurde ihre Amtsbezeichnung „Lyzealdirektorin a.D.“ vermerkt, bis zu Beginn der 2000er Jahre existierte ihr Grab noch im Stöckener Friedhof.

Die personelle Lage der Schule verschlechterte sich im Zuge des Krieges zusehens. So gelang es der Schulleitung nicht ausreichend Lehrer anzuwerben. Dies lag einerseits natürlich an den zunehmenden Fronteinsätzen der männlichen Lehrerschaft allgemein, andererseits jedoch auch an der nicht ausreichenden Besoldung der Lehrer im privaten Schuldienst. Diese Tatsache, gepaart mit den immer größere werdenden finanziellen Schwierigkeiten der Schule, ausgelöst durch fehlende Einnahmen durch Schulgelder und Ausbleiben staatlicher Zuschüsse aufgrund des Krieges, ließen im Kriegsjahr 1915/16 die „Gerüchteküche“ brodeln, dass das katholische Lyzeum wieder an eine Ordensvereinigung übergeben werden sollte.

Die Krise erreichte schließlich ihren Höhepunkt im Februar 1917, als die Direktorin Anna Stöwener plötzlich und unerwartet am 16. Februar im Amt verstarb. Das Kuratorium und der Schulverein reagierten umgehend: Bereits in einer Sitzung vom 20.Februar, also nur wenige Tage nach dem Tod von Fr. Stöwener wurde vom anwesenden Bischof angeregt, die Ursulinen um eine erneute Übernahme der Schule zu bitten. Schon am 15.März bestätigten die Ursulinen ihr Interesse an einer Rückkehr zum April 1917, also dem neuen Schuljahr. Noch am selben Tag beantragte Bischof Ernst die offizielle Übernahme des Lyzeums durch die Ursulinen beim Provinzial-Schulkollegium Hannover. Am 19. Juni erhielten die Ursulinen die Erlaubnis der Regierung, die Schule zum Oktober 1917 wieder zu leiten. Neue Direktorin wurde Mater Raphaele, mit ihr ziehen Schwester Augustina und Schwester Cäcilia als Lehrerinnen mit nach Hannover um.

Oliver Miller